Die größten Denkfehler zu E-Learning und Online-Zusammenarbeit

Wie wir diese überwinden und worauf es wirklich ankommt

E-Learning & Online-Zusammenarbeit haben bei Vielen einen schlechten Ruf. Sie denken dabei an:

  • Isolation und soziale Distanz
  • kein echter persönlicher Austausch
  • Frontalunterricht im Training, mit langwierigen Monologen
  • Ablenkungen wie Email checken sind vorprogrammiert

Dass wir uns durch die aktuelle Covid-19 Situation gezwungenermaßen damit auseinandersetzen müssen, macht die Sache nicht besser. Es sind nicht gerade die besten Voraussetzungen, um die Digitalisierung auch in diesem Bereich mit Freude voranzutreiben.

Die ablehnende Haltung ist nachvollziehbar aufgrund schlechter Erfahrungen, z.B. mit werblichen Massen-Webinaren, Standard-LMS-Systemen, oder auch unvorteilhaft moderierten Online-Konferenzen.

Aber schlechte Erfahrungen bedeuten noch lange nicht, dass es grundsätzlich nicht funktioniert oder gar nicht funktionieren kann. Vielleicht müssen wir nur etwas umdenken und anders machen.

In diesem Blogbeitrag lesen Sie, wie wir dieses Umdenken erreichen können, indem wir uns darauf konzentrieren, worauf es wirklich ankommt: auf Wirksamkeit und Lernzieltransfer.

Wir zeigen an einem konkreten Beispiel, Online-Elemente in einem Blended-Ansatz, aber auch wie reine Online-Kurse sogar vielleicht noch besser funktionieren können als Trainings mit Präsenz.

Denkfehler Nr. 1: Präsenz Trainings sind grundsätzlich immer besser als Online, Online Varianten sind "billiger" Ersatz

Persönliche Präsenz ist gerade bei sensiblen Themen ein starker Faktor. In den Online-Varianten versuchen wir deshalb, die persönliche, auch emotionale Anteilnahme bewusst zu fördern, durch z.B. Storytelling, persönliche Check-ins und Check-outs, und nicht zuletzt einer guten Portion Humor.

Persönliche Präsenz ist aber nicht der einzige Wirkfaktor für den Erfolg einer Trainingsmaßnahme.

Der Ansatz, E-Learning vom Präsenz-Training her zu denken, wird immer dazu führen, dass uns Nachteile auffallen: wir bleiben dann per se bei einer defizitären Wirkungsrelation, immer unter 100% im Vergleich zu Präsenz.

Warum also nicht mal andersherum denken: nach Chancen und Vorteilen von E-Learning suchen und diese immer weiter ausbauen – eine lösungsorientierte Herangehensweise.

Wir sind überzeugt: Wenn wir die technischen Online-Möglichkeiten voll ausschöpfen und gleichzeitig Konzepte mit Sinn und Verstand entwickeln, ist in vielen Fällen sogar noch mehr Wirkung zu erwarten als in typischen Präsenzveranstaltungen.

  • Höherer Transfer ist möglich. Durch Aufteilung der Seminarzeit auf kürzere Sessions und durch die damit entstehende Verarbeitungszeit zwischen den Sessions werden die Learnings umgesetzt noch während die Maßnahme läuft – die Trainer, die Peer Group und die Führungskräfte der Teilnehmenden können diese Umsetzung damit viel direkter begleiten, präziseres Feedback und konkretere Empfehlungen geben.
  • Ergebnisse werden direkt weiterverarbeitet. Virtuelle Pinnwände guter Collaboration Tools wie z.B. Conceptboard sind entweder direkt weiterbenutzbar oder auch leichter übertragbar in die eigenen Tools und Systeme. Der Nachbereitungsaufwand (an dem der Transfer häufig scheitert) ist damit für die Teilnehmenden minimal.
  • Noch individuellerer Zuschnitt. Durch die Aufteilung auf mehrere Sessions haben auch Trainer die Möglichkeit, Anpassungen und Verfeinerungen “on the go” zu machen, direkt aus dem Erleben mit den Teilnehmenden gespeist. Agile Seminardurchführung vom Feinsten.
  • E-Moderationsfähigkeit wird ganz nebenbei gestärkt: Die Nutzung der Tools, v.a. der visuellen Collaboration Tools, wird die Meeting-Kultur im eigenen Haus ankurbeln: Struktur und Transparenz durch Visualisierung.

Ein Praxisbeispiel und fast ein Tabu-Bruch: Ein Kommunikationstraining von 0 bis 100% Online

Zur Veranschaulichung ein Beispiel aus eigenem Erleben: Wir führen seit über 10 Jahren Präsenz-Trainings in einer ganz bestimmten Kommunikationsmethode durch, mit der man wirksame Kernbotschaften für komplexe Zusammenhänge entwickeln und auf den Punkt bringen kann. Das sind meist 1-2 Tage dauernde Formate. Die Methode ist an sich simpel, erfordert aber ein völliges “Umparken im Kopf” und braucht viel konkrete Praxisanwendung.

In den letzten Jahren haben wir das Seminar schrittweise auf E- bzw. Blended-Format umgestellt, immer wieder Alternativen getestet und evaluiert. Und wir waren teilweise selbst überrascht, wie gut es funktioniert.

Phase 1: Online-Vorabfrage unterstützt individuellen Bedarfszuschnitt

Impuls fürs Umdenken: Heterogene Zielgruppen erfordern besonders auch bei dieser Methode didaktisch unterschiedliche Herangehensweisen. Nach Vorstellungsrunde und Bedarfsklärung ist im Präsenztraining (v.a. bei nur einem Tag) nur begrenzte Möglichkeit, Konzept und Material direkt anzupassen. Wir taten unser Bestes (verschiedene Varianten im Koffer), wünschten uns aber noch mehr.

Unsere Lösung: Die Vorabfrage gibt den Teilnehmenden individuell die Möglichkeit, Ihre Erfahrungen, ihren Praxisalltag sowie Zielsetzungen und Wünsche mitzuteilen, und wir Trainer haben 1-2 Wochen Zeitpuffer, um Anpassungen vorzunehmen und auch gedanklich gut gebrieft einzusteigen. Seit ca. 4 Jahren machen wir dies standardmäßig und preisneutral.

  • Geschätzte Wirksamkeitssteigerung: 5 %. Die Teilnehmenden fangen schon vor dem Training damit an, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen: niedrigschwellig und selbstbestimmt. Entsprechende Situationen und Verhaltensweisen im Alltag werden genauer wahrgenommen. Wenn das Präsenztraining startet, wissen alle viel genauer, was konkret sie mit dem Training erreichen wollen und welche Fragen beantwortet werden müssen. Die klaren Anforderungen, die sich daraus ergeben, können von uns Trainern dann auch klarer beantwortet werden. Ein Win-win ohne großen Aufwand.

Phase 2: Ein vorbereitender Klick-Kurs bringt alle auf den gleichen Stand

Impuls fürs Umdenken: Die erste Stunde Seminarzeit ist bei diesem Thema häufig darauf fokussiert, den Nutzen der Methode aufzuzeigen und Bedenken und Widerstände abzubauen (das “Umparken im Kopf”) – aber immer nur bei einem Teil der Teilnehmenden. Andere sind früher bereit, weiterzumachen. Als Trainer*in ist man gut beschäftigt, alle auf einen Stand zu bringen, ohne Ungeduld zu erzeugen. Die Zeit der “Bereiten” könnte noch besser genutzt werden.

Unsere Lösung: Mit der Vorabfrage kann sich der/die Trainer*in zwar auf die Gruppe einstellen, sie erzeugt aber noch keine generelle Bereitschaft für das Umdenken. Eine kurze inhaltliche Einführung in Form eines reinen Online-Trainingsbausteins, ein vorbereitender Kick-Kurs erfüllt diese Funktion und noch mehr:

  • er stellt klar, worum es im Kern bei der Methode geht;
  • er verdeutlicht, für welche Anwendungsbereiche die Methode geeignet ist und welchen konkreten Nutzen man daraus ziehen wird;
  • er zeigt erste Prinzipien, die auch in kleinen Übungen direkt angewandt werden und fordert damit eigene Denkroutinen heraus;
  • und er ermöglicht, ein individuelles Fallbeispiel in Ruhe auszuwählen, mit dem die Methode zum ersten Mal getestet wird.
  • Geschätzte Wirksamkeitssteigerung: 20%. Das Ergebnis war beeindruckend – die Stunde Überzeugungsarbeit war hinfällig, jeder konnte seine individuelle Zeit auch individuell steuern, und wir konnten die gemeinsame Energie noch stärker auf die Anwendung und die Praxisfälle fokussieren. Zugegeben, es hat ein wenig gedauert, bis wir den Dreh raus hatten, welche Elemente ins Vorfeld gezogen werden, und wie genau. Inhalte auf wissensbasiertem Kompetenzlevel eignen sich z.B. hervorragend. Unsere Teilnehmenden meldeten uns auch zurück, dass das Begrüßungsvideo des/der Trainer*in noch viel stärker zur Vorbereitung motiviert, als dies oft sonst bei Online-Kursen der Fall ist. Erste kleinere Anwendungen (Übungen) bringen schnelle Erfolge und lösen den Wunsch nach mehr aus. Und nicht zuletzt empfinden es auch die Teilnehmenden als fairer, ihre eigenen Anwendungsfälle überlegt und in Ruhe auszuwählen. Hier ist die didaktische Kompetenz der Trainer ausschlaggebend für den Erfolg.

Phase 3: Nur ein individuell abrufbares Online Follow-up wird auch genutzt

Impuls fürs Umdenken: Wir wussten, dass die Nachhaltigkeit der Lernerfolge auch bei dieser Methode stark von der schnellen und erfolgreichen Anwendung durch die Teilnehmenden abhing. Wir boten deshalb Follow-up Termine an, um die ersten auftauchenden Fragen beim eigenständigen Anwenden der Methode möglichst zeitnah beantworten zu können. Allerdings sind Follow-up Termine ein zusätzlicher Kostenfaktor, v.a. wenn man den doppelten Reiseaufwand aller Beteiligten betrachtet, und sie waren auch terminlich meist schwer koordinierbar.

Lösung: Die Teilnehmer können uns jetzt ihre individuellen Praxisfälle zusenden und Kommentare und Empfehlungen erhalten, oder 1-2h Online-Sparring bequem vom Schreibtisch aus abrufen, flexible Zeiteinteilung, individuelle Beratung direkt am Arbeitsplatz.

  • Geschätzte Wirksamkeitssteigerung: 70%. Hohe Umsetzungsmotivation! Allein die Aussicht, dass ich als Teilnehmer*in schnelle Hilfe bekommen werde, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ich es bald ausprobiere. Mögliche Rückfälle in vorherige Denk- und Kommunikationsmuster in der Zeit nach dem Seminar können unkompliziert und kostengünstig vermieden werden. Wenn man davon ausgeht, dass generell geschätzte 70% der Teilnehmenden in den ersten Wochen nach dem Training aufgeben und 15% gar nicht erst damit anfangen (s. Institut für Transferwirksamkeit https://www.transferwirksamkeit.com/stellhebel-der-transferwirksamkeit), haben wir damit einen wahren Wirksamkeitsboost zu bieten. (Quelle: Weinbauer-Heidel, I (2016) Was Trainings wirklich wirksam macht. 12 Stellhebel der Transferwirksamkeit. Tradition, Hamburg, S. 10.)

Phase 4: Live-Online Formate ermöglichen adaptives Lernen und Verarbeiten

Impuls fürs Umdenken: Eigentlich kam dieser Impuls aus einer Kostensparnotwendigkeit einer europaweit zusammengesetzten Seminargruppe. Der Reiseaufwand wäre einfach so enorm gewesen, dass wir uns der Herausforderung stellten.

Lösung: 1 Tag Präsenz-Seminar wurde auf 5 x 2h aufgeteilt, auch aufgrund von Zeitzonen-Überlappungen. Die Methode hat 5 Grundschritte, so dass die zeitliche Taktung auch perfekt auf die Methodentaktung passte. Je nach Zielgruppe, zeitlicher Verfügbarkeit und Kundenwunsch arbeiten wir heute aber auch verstärkt in 2x4h Formaten.

Geschätzte Wirksamkeitssteigerung: 20%. Wir waren selbst überrascht, wie sehr die Einteilung in „Häppchen“, und die Nutzung kleiner Umsetzungsaufgaben zwischen den Einheiten den Lernerfolg positiv beeinflusste. Mehrere Teilnehmende haben ungefragt und unabhängig voneinander rückgemeldet, dass sie gerade diese Taktung so hilfreich fanden, und sie sonst in Präsenz-Seminaren deutlich weniger mitnehmen können – es bliebe aufgrund der Menge der Inhalte nicht alles hängen. Zusätzlich verzögere man das Loslegen direkt nach dem Training, weil man erst einmal die Abwesenheitszeit wieder reinholen möchte.

Wir finden, dass dieser Aspekt ein echter Vorteil von Online-Trainings ist, denn mal ehrlich: Wer leistet es sich, Teilnehmende und Trainierende doppelt so häufig dem Reiseaufwand auszusetzen, für 2 oder 4h Anwesenheit?

Aktuell: Phase 5: Collaboration Tools sorgen für noch mehr Gemeinschaftsgefühl und bessere Ergebnisse

Impuls fürs Umdenken: die meisten Video-Conferencing Tools haben zwar eine Whiteboard-Funktion, aber die UX lässt meist noch zu wünschen übrig. Zudem kann man im Präsenz-Seminar mal schnell jemandem mit einem Schulterblick kurze Hinweise geben, in den Breakout-Sessions sieht man aber immer nur den aktiv geteilten Bearbeitungsstand.

Lösung: es war wie ein Halleluja: Visuelle Collaboration Tools wie Mural, Miro oder Conceptboard lassen sich parallel zur Video-Konferenz nutzen. So können alle in der Gruppe sehen, wer woran gerade arbeitet, jeder kann sich an den Überlegungen der Anderen beteiligen, und jeder kann mal schnell zurück zu den Grundlagen springen und sich eine Anregung holen.

  • Geschätzte Wirksamkeitssteigerung: 10%. Erhöhter Spaßfaktor: 20%. Das Training hat etwas Spielerisches bekommen, den Teilnehmenden macht es richtig Spaß – immer wieder entdecken wir zwischen und auch nach den Sessions Teilnehmende auf den Boards, weil sie selbstgesteuert weiter an ihrem Projekt arbeiten. Sogar 4h Sessions vergehen wie im Flug – mit so manch geröteten Wangen in der Abschlussrunde.
Fazit:

Wir können und wollen (!) weiterhin zusätzlich den Faktor Präsenz nutzen, wenn die Rahmenbedingungen passen - dafür aber diese Zeit noch achtsamer, sinnvoller und wertschöpfender für uns und unsere Teilnehmenden nutzen.

E-Learning dagegen ist nicht einfach nur defizitäres Präsenztraining. Wir sollten es als neue Lernform begreifen und von diesem Standpunkt aus didaktisch und konzeptionell sinnvolle Lösungen finden. Wir alle haben bestimmt noch mehr Beobachtungen, die nach Lösungen rufen – und stehen damit erst am Anfang einer vielversprechenden Entwicklung.

  

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