New Work - Schon gelebte Realität?

Gemeinsam Zukunft bewirken - das ist unsere Mission. Wir wollen Menschen und Organisationen fit machen für die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt. Im Interview mit Nadine Schmalhofer von der Mittelbayerischen Zeitung spricht Hanne Philipp darüber, wie es nach zwei Jahren Pandemie um New Work bestellt ist. Hier lesen Sie exklusiv das Interview, untenstehend gibt's den Artikel zum Interview in MZ vom 29.07.2021.

  
Liebe Frau Philipp, vielen Dank noch mal, dass Sie mir für ein kurzes Interview zur Verfügung stehen. Wie schon skizziert, geht es mir um das Thema „New Work“ . Die Arbeitswelt befand sich ohnehin schon im Wandel. Dann kam Corona. Hat die Pandemie dafür gesorgt, dass sich New-Work-Modelle rasanter durchsetzen?

New Work wird kurz und knapp von Prof. Dr. Casten Schermuly  mit den 3 Ds skizziert: Digitalisierung – Dezentralisierung – Demokratisierung. Mein Fazit nach Corona:  Ja, New Work konnte sich hinsichtlich Digitalisierung und Dezentralisierung  schneller verbreiten als es vielleicht ohne Covid-19 der Fall gewesen wäre . Eher „nein“ würde ich konstatieren bzgl. Demokratisierung. Wir haben eine hohe Lernkurve hingelegt hinsichtlich der technischen Möglichkeiten ausgelotet und haben uns einige Ansätze zu Remote Work durch Homeoffice mangels Alternativen angeeignet. Doch auch hinsichtlich hybrider Zusammenarbeit ist noch einiges zu entdecken. Was definitiv weniger tief stattgefunden hat, ist eine gemeinsame Auseinandersetzung mit der Frage: Wie wollen wir in Zukunft arbeiten? Der Urvater von New Work, Frithjof Bergmann proüpagiert nichts weniger als einen Wandel der Arbeitswelt, in der Arbeit nicht mehr nur Mittel zum Zweck ist, sondern Erfüllung – das, was wir "wirklich, wirklich wollen". 
Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Wenn wir Bilanz ziehen wollen zu New Work nach der Pandemie, dann sollten wir uns die Frage stellen: Wie sieht es mit der Teilhabe und der New Collaboration aus? Hier hat der Krisenmodus unser Handeln bestimmt, in den nächsten Monaten und Jahren sollte es uns stärker um bewusstes konzeptionelles Gestalten gehen.

Remote Work, neue Arbeitsstrukturen … Ist New Work vielleicht sogar schon gelebte Realität? Wie sieht es in der Region aus?

Was wir erleben ist sehr unterschiedlich, ganze Bandbreite von zwar Homeoffice, aber Mitarbeiter fahren ins Büro, um Papierordner auszutauschen, es gelten die Präsenzarbeitszeiten. Und am anderen Ende mobiles Arbeiten, Teams, wo ein Zusammenhalt auch mit virtuellen Arbeitsstrukturen super klappt, weil man es gemeinsam geschafft hat, individuelle Bedürfnisse mit hoher Produktivität und Austausch zusammenzubringen. Insgesamt ist auch hier tendenziell Digitalisierung und Dezentralisierung von Arbeit stärker ausgeprägt als die Auseinandersetzung mit der Zukunft der Arbeitswelt. Gleichzeitig waren wir in den letzten Monaten alle gut damit beschäftigt, erstmal die Herausforderungen der Pandemie zu meistern.

Heißt New Work auch Less Work? Ist die 40-Stunden-Woche ein Auslaufmodell?

Naja, New Work ist zum heutigen Zeitpunkt eigentlich noch eine Luxusdiskussion derjenigen, die überwiegend am PC arbeiten. Im Einzelhandel, in der Produktion finden sich hier noch wenige praktikable Ansätze, abgesehen von Modellen wie 35h Woche. Zumindest in den nächsten paar Jahren wird es in der Produktion, in den Dienstleistungen des öffentlichen Lebens und im Einzelhandel weiterhin sowas wie einen Schichtplan geben. Als Gesellschaft sollten wir darauf achten, dass wir die Arbeitsbedingungen aller verbessern, sonst diskutieren die einen über New Work, während die anderen das öffentliche Leben am Laufen halten. 
Ansonsten ist die 40h-Woche vielleicht kein Auslaufmodell, aber wir erleben zunehmend häufiger, dass Menschen Arbeitszeit auf 4 Tage reduzieren, um an einem Tag z.B. freiberuflich anderen Interessen nachzugehen. Und das ist das Interessante: Diejenigen, die im Hauptberuf Stunden reduzieren, verfolgen oft nicht den Ansatz „Less Work“, sondern „More Purpose“. Wir müssen uns eher fragen: Warum reduzieren Mitarbeitende ihre Arbeitszeit?

Wenn Unternehmen es schaffen, Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche sowie die Unternehmenskultur so zu gestalten, dass Mitarbeitende erfüllter sind, sich weiterentwickeln können, das Gefühl haben, einen wirklich wichtigen Beitrag zu leisten, etc. dann gewinnen sie doppelt: eine höhere Bindung der Arbeitskraft mit nachhaltigeren Ergebnissen. Unter meinen Coachees der letzten 20 Jahre hat niemand seine Arbeitszeit reduziert, mit dem Wunsch nach mehr Freizeit für z.B. Sport oder Netflix. Aber der eine oder die andere hat die Arbeitszeit im Hauptberuf reduziert, um „etwas sinnvolleres mit seiner/ ihrer Zeit anzufangen“.

Wie steht es um die klassische Karriere? Ist sie noch für alle erstrebenswert oder steigt die Zahl derer, die zugunsten Freizeit und Familie beruflich kürzer treten wollen – sei es durch Reduzierung der Arbeitszeit oder den bewussten Verzicht auf eine Führungsposition?

Auch hier beobachten wir eher, dass Menschen auf eine Führungsposition verzichten, weil sie sie sich nicht mit den damit verbundenen „Nebenwirkungen“ wie unproduktiven Meetings, hoher Energieinvest für relativ geringe Gestaltungsmöglichkeiten etc. identifizieren. Die klassische Karriere, die mit einer 24/7-Verfügbarkeit, Folienschlachten für Entscheidungsgremien etc. einhergehen, die werden in der Tat unattraktiver, hier lockt auch der Mehrverdienst nicht mehr. Auch veränderte Familienstrukturen tragen sicherlich dazu bei, wenn es nicht mehr nur 1 Familieneinkommen gibt. Mit 2 Einkommen steigt die Freiheit, zu prüfen, was wirklich erfüllt, anstelle Karriere auf Kosten der eigenen Gesundheit, Zufriedenheit und Familie zu machen. 
Hier sind Unternehmen gefordert, umzudenken und neue Modelle, auch von Führung, Führungsrollen und Führungspositionen zu finden.

Studien belegen, dass kürzere Arbeitszeit potenziell in einer höheren Produktivität resultiert. Könnten Vier-Tage-Woche oder Sechs-Stunden-Tag Modelle für die Zukunft sein?

Grundsätzlich finde ich diese Studienergebnisse absolut bedenkenswert. Gleichzeitig muss man sich auch ganz genau die Tätigkeitsstrukturen ansehen. Wer z.B. im Außendienst weiterhin einen hohen Anteil von Fahrzeiten hat, der wird hier nicht in 4 Tagen automatisch die gleichen Vertriebserfolge erzielen. Aber auf jedenfall lohnt es sich, darüber nachzudenken, worauf man verzichten würde, um mit 4 Tagen das gleiche Ergebnis zu erzielen. So ein Gedankenexperiment lädt ein, alles auf den Prüfstand zu stellen und sich für die wirklich wichtigen Dinge zu entscheiden. Viele Teilzeitkräfte haben ja auch die Erfahrung gemacht, dass sie viel klarer priorisieren müssen und sie in der geringeren Zeit mehr erreichen. 
Wir sollten bei der Diskussion um die 4-Tage-Woche nur auch genau hinsehen, ob wir uns damit nicht einem noch höheren Effizienz- oder Produktivitätsdruck beugen und wieviel Luft für das bleibt, was wir als Berufung erleben. 
Wir müssen schon ein sehr hohes Produktivitätspotenzial heben, wenn wir gleichzeitig einen Fachkräftemangel ausgleichen wollen. Im Internationalen Wettbewerb gleiche Servicelevelstandards zu halten, Innovationen voranzutreiben und dabei Arbeitszeit zu reduzieren… das sind hohe Anforderungen an die Einzelperson wie an Unternehmen. Bei den internationalen Mitbewerbern aus China und Indien ist übrigens die 4-Tage-Woche keine Diskussion. Noch nicht.

Wie schätzen Sie den Status Quo ein? Ist Teilzeit mittlerweile auch für Führungskräfte eine Option oder bleibt es weiterhin den Müttern vorbehalten?

Ich würde hier gerne die Fragestellung verändern, man könnte sie ja missverstehen, dass Führungskräfte nur männlich sind und dass Erziehungs- und Pflegezeit genuin Frauenaufgaben sind… Wenn ich den Kern Ihrer Frage richtig verstehe, geht es darum, ob auch Führung in Teilzeit möglich ist und inwieweit das Recht auf Teilzeit mit bestimmten Lebensrollen beschränkt ist. Hier erlebe ich es durchaus, dass auch Führungskräfte ein Teilzeitmodell wählen können, wenn sie in eine Familienphase kommen und sie bleiben  - mit hohem persönlichen Aufwand  - Führungskräfte. 
Es ist m.E. nach aber selten, dass sich jemand in TZ erfolgreich auf eine Führungsrolle bewirbt. Hier in der Region kenne ich persönlich niemanden. Aber ich kenne in Unternehmen außerhalb der Region Modelle, wo sich zwei Teilzeitkräfte eine Führungsrolle teilen und das klappt super, wenn sich alle Akteure einlassen und wenn gemeinsam nötige Absprachen gefunden wurden. Hier braucht es erstmal den politischen Willen, das grundsätzlich zu ermöglichen und die Bereitschaft aller, passende Konstellationen zu gestalten.

Und ganz unabhängig vom Thema Teilzeit wäre Shared Leadership vielleicht auch ein Ansatz, der die Attraktivität von Führungspositionen erhöhen würde. New Work-Konzepte und Holocracy-Ansätze beschäftigen sich intensiv mit geteilten Rollen. Die Führungsrolle auf mehrere Personen verteilt schafft mehr Möglichkeit für Austausch und Sparring.

Werden Beruf und Freizeit weiter verschmelzen – vor allem im Bereich der Wissensarbeit? Und sorgt das nun für mehr Lebensqualität oder birgt es auch Gefahren? Die Generation Z fordert ja bereits die Kehrtwende und wünscht sich laut einer XING-Studie die klare Trennung von Beruf und Privatleben, die Work-Life-Separation.

Gerade in der Wissensarbeit verbunden mit New Work werden Lebensbereiche verschmelzen, ja, davon bin ich überzeugt. Und eine hohe Lebensqualität basierend auf hoher Sinnstiftung birgt natürlich die Gefahr, sich vor lauter Leidenschaft aufzureiben.

New Work setzt mündige, reife Persönlichkeiten voraus, die in der Lage sind, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, auf eine gute Energiebalance zu achten, eigene Leistungsgrenzen zu respektieren und sich entsprechend abzugrenzen. „New Work needs Inner Work“ -so der Titel eines sehr empfehlenswerten Buches. Mich persönlich erschreckt es, wenn hier eine junge Generation die Verantwortung an ihre Führungskräfte und die Unternehmen delegiert. Wenn ich mich brennend für ein Thema interessiere, wo ich mich mit Leidenschaft einbringen möchte, das mich beruflich und privat interessiert – soll dann der Arbeitgeber/ die Arbeitgeberin dafür sorgen, dass z.B. niemand am Wochenende online eine Fachzeitschrift liest oder Ideen, die vielleicht am See entstehen, weiterzudenken? Und wenn wir eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter ausbauen möchten, dann halte ich eine Work-Life-Separation für kontraproduktiv. Jede Form von Freiheit hat ihren Preis. Wer Flexibilisierung der Arbeitswelt fordert, muss mit dieser Freiheit umgehen können.

Und so verstehe ich den Ruf nach klaren Verhältnissen als Auftrag an Unternehmen und an die Gesellschaft, hier gemeinsam mit Arbeitnehmenden die Leitplanken zu definieren, Entscheidungsprinzipien zu klären, damit der/die Einzelne nicht alles alleine für sich regeln muss. Damit kommen wir zurück auf das 3. D: Demokatisierung: Eine Demokratie würde erstarren, wenn wir nur noch nach Reglementierungen rufen. Wie schwierig Regeln in einem dynamischen Umfeld sind, das haben wir ja in der Pandemie oft genug erlebt.Eine Demokratie ist dann lebendig, wenn sie von allen gestaltet und immer wieder neu verhandelt wird.

Vielen Dank für das Interview! (Nadine Schmalhofer für die MZ, im Juli 2021)

Wir bedanken uns für die spannenden Fragen und das gute Gespräch! Nachdem wir den Artikel zum Interview leider nicht verlinken können, stellen wir es hier als PDF zur Verfügung.